Dies ist eines meiner Lieblingsbeispiele, wie man mit einfachen Mitteln schon viel erreichen kann. Erlebt habe ich es am Anfang meiner beruflichen Karriere und es hat meine Sicht auf „low Performance“ Teams maßgeblich geprägt: Oft entstehen diese erst durch ein Umfeld, das sie als Personen mit ihren Bedürfnissen nicht wahrnimmt. Es kommt zu innerer Resignation und die Produktivität sinkt.

Situation

Mehrere Kollegen bilden schon seit Jahren ein Team in dieser IT-Abteilung eines Konzerns. Sie sind verantwortlich für das Berichtswesen zu den Produktionskennzahlen, die sich die Standortleitung jeden Tag anschaut. Früher durften sie diese Software selbst programmieren. Heute wird das an einem anderen Standort gemacht und sie dürfen nur noch Anforderungen schreiben, Fehlermeldungen aufgeben und in der Software konfigurieren.

In letzter Zeit treten zunehmend Störungen der Software auf und die Abteilungsleitung ist frustriert, weil das Team die Sache nicht in den Griff bekommt. Zeitweise muss der Abteilungsleiter sich mehrmals die Woche für fehlerhafte Berichte bei der Standortleitung entschuldigen . Alles reden hat bisher nicht geholfen.

In dieser Situation wurde der alte Teamleiter abgesetzt und ich bin in das Team gekommen, um vielleicht irgendwie noch eine Lösung zu finden. Alle beteiligten Führungskräfte waren mit ihrem Latein am Ende und haben schon über Kündigungen der Mitarbeiter etc. nachgedacht.

Ergebnis

Nach etwa 6 Monaten sind die Fehlerraten deutlich gesunken. Anstatt von mehreren Störungen in der Woche kam es zu maximal einer Störung. Zu dieser waren alle Teammitglieder aussagefähig und sind der Bearbeitung nachgegangen. Die Zusammenarbeit mit dem anderen Standort, an dem jetzt die Softwareentwicklung lag, hatte sich deutlich verbessert. Es hatten sogar einzelne gegenseitige Besuche stattgefunden.

Der Weg

Begonnen haben wir erst einmal mit einem vorsichtigen Kennenlernen. Die Kollegen haben mir über ein paar Wochen gezeigt, wie sie arbeiten. Ich habe mitgemacht und versucht zu verstehen, warum was wie passiert.

Danach haben wir einen Team-Workshop gemacht, in dem wir offen und ehrlich die aktuelle Situation aus der eigenen Perspektive beschrieben haben. Dabei ging es nicht darum zu bewerten und nach Lösungen zu suchen, sondern erst einmal die Probleme anzusprechen. Schnell stellte sich heraus, dass die Kollegen über die Jahre frustriert waren und sich nicht mehr wohlgefühlt haben. Niemand hat sich für sie interessiert. Ihre viele Arbeit und Anstrengungen wurden nicht wertgeschätzt, stattdessen wurden sie nur angemeckert, weil sie aus Sicht der Abteilungsleitung nichts fertig bekommen. Der einzige Grund, warum sie überhaupt noch zur Arbeit gekommen sind, war ihre gefühlte Verantwortung gegenüber der Standortleitung die auf die Kennzahlen angewiesen war.

Mit diesen Einsichten haben wir als Team entschieden, welches der vielen Probleme wir zuerst angehen wollen. Es wurde die Themen „Transparenz über unsere Arbeit“ und „Fokussierung auf wenige Themen, die abgeschlossen werden“. Davon haben wir uns davon den größten Effekt auch für die persönliche Zufriedenheit erhofft. Ich habe ein Teamboard erstellt, in dem wir die aktuellen Themen nach der Kanban Systematik verfolgt haben. Jede Woche haben wir als Team geplant, welche inhaltlichen Themen (z.B. Anforderungen) diese Woche bearbeitet und möglichst abgeschlossen werden. Dabei haben wir unsere Kapazitäten aber nur bis zu 60-70% beplant, um noch genug Zeit zu haben, auf etwaige Softwarestörungen zu reagieren. Jeden Morgen um 8:45h bevor der richtige Bürotag los ging, haben wir uns vor unserem Board getroffen. Wir haben den aktuellen Stand zu einzelnen Themen geteilt und über neue Störungen gesprochen. Für jedes Thema und jede Störung haben wir einen Verantwortlichen festgelegt, der sich um die Bearbeitung gekümmert hat. Über die Woche wanderten die Aufgaben dann in die Fertig-Spalte und es war ein richtig schönes Gefühl, wenn am Ende der Woche die meisten Aufgaben von links (To Do) nach rechts (fertig) gewandert waren.

Auch für die Abteilungsleitung hatte diese Wand den großen Vorteil, dass sie sehen konnte, an welchen Themen das Team arbeitet und auch deren Status verfolgen konnte. Das hat auch ihre Zufriedenheit gesteigert. Mit der Zeit haben auch andere Teams solche Teamwände für sich erstellt und die Methodik adaptiert übernommen. Diese erste Wand gab es im übrigen noch Jahre später in dem Team, als ich schon längst an einem anderen Standort gearbeitet habe. 🙂

Ehrlicherweise muss man sagen, dass nicht alle im Team am Anfang angetan waren von dieser Prozessänderung und der radikalen Transparenz. Daher haben wir vereinbart, dass wir uns alle 4 Wochen Zeit nehmen, um zu schauen, ob die Änderung (und noch folgende) den gewünschten Effekt bringen oder zu überlegen, was wir stattdessen ändern können / müssen. Hier haben wir die Methode der regelmäßigen Retrospektiven verwendet, die ein Teil vieler agilen Frameworks ist.

Wichtigste Erkenntnisse

  1. Fehlende Wertschätzung der Mitarbeiter ist ein Killer für produktives Arbeiten.
  2. Immer offen und ehrlich kommunizieren, dann fällt es anderen leichter sich zu öffnen.
  3. Prozessänderungen testen und dann über Retrospektiven weiterentwickeln erhöht den Willen sich auf die Veränderung einzulassen.